Die Wortsilbe „Dys“ aus dem Griechischen bedeutet „schlecht“. Die CMD beschreibt daher die schlechte Funktion zwischen dem Kranium (Schädel) und der Mandibula (Unterkiefer). Da die Vorstellungen über die Funktion in diesem Bereich einem starken Wandel ausgesetzt waren (und es heute noch sind), wird auch die Dysfunktion hier sehr uneinheitlich verstanden.
In der Gnathologie war das Funktionsverständnis durch Bewegungsabläufe in den Kiefergelenken geprägt, insbesondere von der Vorstellung einer die Gelenkkondylen verbindenden Scharnierachse. Diese terminale Scharnierachse wurde erst bestimmbar, wenn man eine Translation der Kiefergelenke unterband, gewöhnlich durch die Manipulation des Unterkiefers durch den Behandler nach retral.
Als zentrische Bewegungen wurden vertikale Bewegungen verstanden, welche um diese Scharnierachse als Mittelpunkt abliefen, also ohne Translation der Kiefergelenke. Eine Bisslage wurde in der Gnathologie ursprünglich dann als korrekt eingestuft, wenn durch eine zentrische Bewegung ohne Deflektion die maximale Interkuspidation der Zähne erreicht werden konnte. Eine Deflektion aus der zentrischen Bewegung in eine „exzentrische“ Position durch die Okklusion wurde als Dysfunktion bezeichnet, bzw. als Grund für eine Dysfunktion postuliert.
Noch heute wird die CMD häufig anhand der Biomechanik der Kiefergelenke, bzw. der dort auftretenden Symptome definiert. Jedoch sind die ursprünglichen Prämissen der Gnathologie schon seit Längerem nicht mehr mit den Ergebnissen der Grundlagenforschung vereinbar. Auch gilt die retrale Kontaktposition (RKP), also die Position, die mit der Vorstellung einer zentrischen Bewegung überein stimmt, bei den meisten Zahnärzten aufgrund negativer Erfahrungen nicht mehr als erstrebenswerte Bisslage.
Unter diesen Voraussetzungen ist es wenig verwunderlich, wenn Studien keine Evidenzbasierung für die ursprünglichen Vorgehensweisen der Gnathologie etablieren konnten, und auch zu keinen geordneten Erkenntnissen führten. Besonders Interpretationen, wie die, dass die Okklusion oder Stellung der Zähne so gut wie nicht mit der CMD korreliere, führten zu einer gewissen Entfremdung zwischen Wissenschaft und Lehre auf der einen, und Praktikern und deren klinischem Erfahrungsschatz, sowie auch den von der CMD Betroffenen auf der anderen Seite.
In der neuromuskulären Sichtweise wird Funktion und Dysfunktion völlig anders verstanden. Im Mittelpunkt steht die Notwendigkeit, die harten und komplexen Konturen der Kauflächen möglichst unkompliziert in einen Kraftschluss mit der des jeweiligen Antagonisten zu fügen. Da die Zahnbögen sich während des Wachstums, sowie durch Zahnverschiebung, etc., beträchtlich verformen können, ist das Postulat einer fixen und unveränderlichen Scharnierachse unlogisch – somit auch das Postulat der Konstanz der Kiefergelenke und ihrer Bewegungen, das die Begründer der Gnathologie zugrunde gelegt hatten. Vielmehr muss das System redundant reguliert sein, um seiner physiologischen Aufgabenstellung auch unter widrigen Umständen gewachsen zu sein. Die Plastizität der Gelenke und Disci („Remodelling“), sowie die mannigfaltige Anpassungsfähigkeit der Kieferstellung durch Tonusveränderungen in der Kaumuskulatur tragen dieser Notwendigkeit Rechnung.
Nach der neuromuskulären Sicht ist daher eine CMD nicht alleine auf Grund der Tatsache gegeben, dass solche Umstände dem System Kompensationen abfordern. Erst wenn es durch Kompensationen zu Funktionseinbußen kommt, also zu einer schlechten (= „Dys-“) Funktion, ist eine CMD gegeben.
Per Definitionem ist daher die CMD ein Geschehen, das unlösbar mit der Cranio-Mandibulären Funktion verbunden ist, und die Herstellung des okklusalen Kraftschlusses wiederum ist das wesentlicher Bestandteil dieser Funktion, welches das kraniomandibuläre Bewegungssystem von anderen im Körper unterscheidet.
Eine CMD kann segmentintern aufgrund zu großer Anforderungen an die Kompensationsmechanismen des Cranio-Mandibulären Bewegungssystems entstehen. Jedoch können auch segmentübergreifend Kompensationen ausgelöst werden, wodurch sich die vielen Symptome auch abseits der Kiefergelenke erklären. Eine segmentübergreifende Kompensation, bei der das Cranio-Mandibuläre System zum Ausgleich der Funktion außerhalb dieses Segmentes (z. B. einer HWS-Dysfunktion) herangezogen wird, bedingt jedoch nicht notwendigerweise eine CMD, auch wenn es in diesem Bereich zu Symptomen kommen sollte. Daher verwirrt es nur, wenn Zustände, wie z. B. psychische Störungen undifferenziert der CMD zugeordnet werden, nur weil dadurch möglicherweise auch Symptome im Bereich der Kiefergelenke hervorgerufen werden, z. B. in Folge von chronischem Zähnepressen, etc. Solch unklare Gedankenführungen führen dann zu widersinnigen Schlussfolgerunge, wie der, dass die Dysfunktion eines Systems nichts mit dem System selbst zu tun habe (i. e. die CMD nichts mit dem Cranio-Mandibulären System, bzw. der Okklusion).
Phänomene wie myofasziale Schmerzübertragung oder lokaler Überlastung aufgrund von Dysfunktionen außerhalb des Segmentes sind heute wohlbekannt, daher taugt die Lokalität von Symptomen nur wenig als Aus- und Einschlusskriterium für die CMD. Studien, in welchen der Auftrittsort von Symptomen als Einschlusskriterium für die CMD benutzt wurde, anstatt von funktionellen Parametern, welche Kompensationen beim Schlussbiss erkennbar machen, können daher bestenfalls eine geringe Aussagekraft beinhalten.